Warum Europas Zukunft auf Flüssen, Infrastruktur und Souveränität gebaut ist

Kontinentale Achsenmacht

Warum Europas Zukunft auf Flüssen, Infrastruktur und Souveränität gebaut ist

Von Christoph von Gamm, 20. Oktober 2025

„Wer die Verkehrsadern kontrolliert, kontrolliert den Kontinent.“
– Paraphrase nach Halford J. Mackinder

 

Die unterschätzte Macht der Flüsse

Deutschland verdankt seine wirtschaftliche und politische Bedeutung nicht allein seiner zentralen Lage im Herzen Europas, sondern auch einer geographischen Tatsache, die oft übersehen wird: seinen großen Flüssen. Donau, Rhein und Elbe waren über Jahrhunderte die Lebensadern der europäischen Zivilisation. Sie verbanden Regionen, ermöglichten Handel und kulturellen Austausch und machten den Transport von Gütern kostengünstig und effizient.

Während Straßen und Schienen teure Infrastruktur erfordern und geopolitisch leicht blockierbar sind, bilden Flüsse natürliche Verkehrsadern, die Wirtschaftsräume miteinander verschmelzen. Über sie wurden nicht nur Waren, sondern Ideen, Technologien und politische Ordnungen transportiert. Die Flüsse Europas sind damit nicht nur geographische Gegebenheiten – sie sind Machtfaktoren.

 

Der Kanal, der zu viel verband

Kaum ein Projekt verdeutlicht diesen Zusammenhang so eindrücklich wie der Rhein-Main-Donau-Kanal. Mit ihm entstand eine durchgehende Wasserstraße von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer – ein strategischer Korridor, der Mitteleuropa wirtschaftlich und logistisch eng miteinander verzahnt.

Dass dieses Projekt über Jahrzehnte auf erbitterten Widerstand stieß, ist kein Zufall. Gerade klassische Marinemächte wie Großbritannien betrachteten jede kontinentale Integration mit Argwohn. Eine geschlossene, ökonomisch eng verflochtene Mitte Europas hätte die Abhängigkeit von Seewegen reduziert – und damit den Einfluss der maritimen Mächte geschwächt.

Die Propaganda gegen den Kanal war entsprechend heftig. Kritiker warnten vor ökologischen Schäden, ökonomischer Unrentabilität und geopolitischer „Überdehnung“ – Argumente, die oft weniger aus Sorge um Natur oder Wirtschaft, sondern aus machtpolitischem Kalkül gespeist waren.

 

Spaltung als strategisches Prinzip

Dieses Muster hat eine lange Tradition. Seit dem 19. Jahrhundert verfolgten die Seemächte eine klare Doktrin: Die Bildung einer dominanten Landmacht in der europäischen Mitte galt es zu verhindern. Ob im Kontext des Deutschen Kaiserreichs, der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg oder später des Kalten Krieges – das Ziel blieb stets dasselbe: Balance of Power durch Spaltung.

Besonders deutlich zeigt sich dieses Prinzip auf dem Balkan. Über ein Jahrhundert hinweg wurde die Region systematisch destabilisiert, Konflikte wurden geschürt oder instrumentalisiert, um eine dauerhafte Fragmentierung zu sichern. Der Balkan sollte Puffer bleiben – niemals Brücke. Eine zusammenhängende geopolitische Achse von Mitteleuropa bis zum Schwarzen Meer wäre für die maritime Ordnung eine fundamentale Herausforderung gewesen.

 

Deutschlands strategische Doppelrolle

Deutschland steht im Zentrum dieses geopolitischen Spannungsfelds. Seine Lage macht es zur natürlichen Drehscheibe zwischen Nord und Süd, Ost und West. Diese Mittellage ist Fluch und Segen zugleich: Sie bietet enorme Chancen für Integration, macht das Land jedoch auch zum Ziel externer Einflussnahme.

Wo immer der Kontinent zu eng zusammenzurücken droht, tauchen politische, wirtschaftliche oder ideologische Keile auf. Sei es durch Handelsabkommen, durch Energiepolitik oder durch gezielte Förderung von Separatismen – das Prinzip bleibt konstant: Spaltung sichert Kontrolle.

Und bei aller berechtigten Begeisterung für den europäischen Gedanken muss man sich einer nüchternen Realität bewusst sein: Die Interessen Deutschlands sind nicht deckungsgleich mit denen Frankreichs, Irlands oder Spaniens. In ihrem geostrategischen Grundmuster ähneln sie weit eher den Interessen Polens, Österreichs, der Schweiz, Tschechiens, der Slowakei, Ungarns oder Kroatiens – vielleicht sogar denen Weißrusslands.

Genau hier liegt das Risiko: Insbesondere Großbritannien hat seit Jahrhunderten – und bis heute – eine Strategie verfolgt, die darauf abzielt, einen Keil in Mitteleuropa zu treiben, Verkehrswege zu blockieren, Infrastruktur zu schwächen und gesellschaftliche Kohärenz zu untergraben. Es sind machtpolitische Interessen, und daran gibt es nichts zu beschönigen.

 

Infrastruktur ist Geopolitik

Die großen Linien geopolitischer Macht verlaufen heute nicht nur entlang militärischer Grenzen, sondern entlang von Handelswegen, Versorgungsnetzen und Datenströmen. Wer sie gestaltet, gestaltet Abhängigkeiten – und wer sie kontrolliert, kontrolliert politische Handlungsspielräume.

Flüsse, Kanäle und Bahntrassen sind deshalb nicht nur Infrastrukturen, sondern Instrumente strategischer Souveränität. Sie bestimmen, ob Europa als selbstbewusster Kontinent agiert oder in der Logik externer Mächte gefangen bleibt.

Die Aufgabe für die kommenden Jahrzehnte ist klar: Europa muss seine kontinentalen Ressourcen – zu Wasser, zu Land und digital – nicht nur ausbauen, sondern als Teil seiner geopolitischen Identität verstehen. Nur dann kann es jenen Kräften widerstehen, die seine Mitte schwächen und seine Einheit verhindern wollen.

 

Die Mitte ist entscheidend

Europa wird nicht an seinen Grenzen entschieden, sondern in seiner Mitte. Die Zukunft des Kontinents hängt davon ab, ob diese Mitte – und damit Deutschland – ihre Rolle als verbindende Kraft zwischen den Räumen – Ost und West – Nord und Süd – wahrnimmt – oder ob sie weiter zur Spielwiese externer Strategien degradiert wird.

Die Flüsse, die Deutschland und Europa einst groß gemacht haben, sind mehr als Relikte einer vergangenen Zeit. Sie sind ein Schlüssel zur Souveränität des Kontinents – wenn man bereit ist, sie als solche zu begreifen. Es gibt viel zu tun, gemeinsam. Packen wir’s an. 

 

 

 

Sir Halford John Mackinder ( 15. Februar 1861 in Gainsborough; † 6. März 1947) war ein britischer Geograph. Er entwickelte die geopolitische Heartland-Theorie.

christophvongamm

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Dr. Christoph von Gamm ist ein Unternehmer, Investor und Business Angel, der sich an der Schnittstelle von Wirtschaft, Kultur und Technologie engagiert. Er ist CEO und Managing Partner von Cybertrue Capital Partners, einer Firma, die sich mit Investitionen und Deals beschäftigt. Zudem ist er CEO von vonGammCom Global, wo er Beratungs- und Executive-Search-Dienstleistungen im Bereich IT-Outsourcing, große Verträge, Vertriebsführung und umfassende Transformationen anbietet. Seine berufliche Laufbahn umfasst über 20 Jahre globale und pan-europäische Erfahrung, darunter Führungspositionen bei Capgemini Suisse S.A. (2008–2012) und IBM Corporation (1995–2008). Er hat sich als strategisch denkender Führungskraft mit Erfolg bei der Performanceverbesserung großer Organisationen, der Gründung neuer Funktionen und der Pionierarbeit bei globalen Outsourcing-Initiativen etabliert. Sein Schwerpunkt liegt auf der Wertsteigerung durch digitale Transformation und der Nutzung dieser Veränderungen für seine Kunden. Er verfügt über akademische Qualifikationen, darunter einen Doktortitel (Dr. phil.) in interkultureller Wirtschaftswissenschaft von der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), einen Diplom-Ingenieur (Dipl.-Ing.) in Elektrotechnik und Informationstechnik von der TU München sowie ein MBA von der Open University Business School, einen Master of Sales Management von der Portsmouth University, sowie Absolvent des Client Executive Programs der INSEAD Fontainebleau.
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