Der Krieg, der nie enden darf
Dr. Christoph v. Gamm, München, Juli 2025
Warum Frankreich, UK und Deutschland 250 Milliarden Gründe haben, den Ukraine-Krieg „bis zum Ende“ zu führen
Beginnen wir mit einer kleinen Erinnerung:
Russland hat in den Jahren bis 2022 – und, man höre und staune, sogar noch danach – glänzend am Export von Öl, Gas und Rohstoffen verdient. Diese Rohstoffe? Verbrannt, verheizt, verarbeitet. Weg. Die Ware ist längst futsch.
Geblieben ist allerdings ein kleines Problem für den Westen: Das gewaltige Handelsbilanzdefizit, das sich in dieser Zeit angesammelt hat. Besonders betroffen: Deutschland, Frankreich, die Benelux-Staaten und Großbritannien. Diese Länder haben sich ihre russischen Rohstoffe nicht bar liefern lassen, sondern auf Pump – in Form von Anleihen und anderen Schuldversprechen.
Summe der Rechnung: Rund 250 Milliarden Euro¹.
Verpackt in hübsche Finanzpapiere, die – wie es der Brauch verlangt – sicher bei einer belgischen Abwicklungsstelle namens Euroclear lagern.
Warum ausgerechnet dort? Ganz einfach: Euroclear war jahrelang der Tresor der internationalen Finanzwelt. Sicher, diskret, unpolitisch. Russland selbst hat bis 2022 ganz selbstverständlich dort seine Zinszahlungen abgewickelt. Niemand hatte je Zweifel daran, dass das Geld dort sicher sei.
Bis plötzlich der große geopolitische Knall kam.
Russland rutschte in der globalen Beliebtheitsskala rasant nach unten. Und plötzlich tauchte im Westen die Frage auf, die sonst nur Kleinkriminelle beim Anblick fremder Brieftaschen stellen:
„Könnten wir das Geld nicht einfach behalten?“
Ganz unter uns: Niemand im Westen hatte jemals Lust gehabt, diese Schulden zu begleichen oder auch nur die Zinsen zu zahlen, erst recht nicht an Russland. Wer auch? Die ganzen Boomer, die eh nur ein demografisches Fiasko darstellen und alle in Rente gehen? Die jungen Twinks in Westeuropa, die jetzt eh schon bis aufs Blut erpresst werden und sich von Praktikum über mies bezahltem Job und prekären Aussichten, Lockdown und nun vielleicht Wehrdienst und Zahlung von Renten in die Zukunft retten wollen? No fucking way ever.
Aber nochmal: Könnte man das Geld einfach behalten?
Die juristische Kurzantwort: Eigentlich nicht.
Die praktische Langversion: Man kann es zumindest versuchen.
Die große Kunst, sich selbst zu bedienen
Natürlich wäre es zu auffällig, das Geld einfach zu stehlen. Deshalb hat man einen eleganten Umweg gewählt: Man nennt es jetzt „Windfall Profits“ – Zufallsgewinne².
Die Argumentation: Russland habe beim Kauf der Anleihen nicht ahnen können, dass die Zinsen steigen würden. Die Zinsgewinne seien also nichts anderes als ein glücklicher Zufall – vergleichbar mit einem Lottogewinn.
Und wer den Lottogewinn nicht abholen kann, weil er gerade auf der Sanktionenliste steht? Pech gehabt. Dann wird das Geld eben umverteilt.
Und wohin? An die Ukraine, versteht sich. Die nutzt es wiederum, um brav ihre Schulden beim Westen zu tilgen³.
Das Ergebnis ist ein perfekter Kreislauf:
– Der Westen schuldet Russland Zinsen.
– Die Zinsen werden blockiert, an die Ukraine weitergereicht.
– Die Ukraine zahlt damit ihre Kredite – wieder an den Westen.
Ein Kreislauf, gegen den jede Biogasanlage blass vor Neid wird.
Das große Risiko: Was, wenn Russland nicht verliert?
So weit, so clever. Aber das Ganze hat einen winzigen, kaum erwähnten Haken.
Denn was passiert, wenn der Krieg endet, ohne dass Russland verliert?
Was, wenn es keinen Regimewechsel, keine Kapitulation und keine juristische Zwangsenteignung gibt?
Dann platzt der Traum vom kostenlosen Reichtum.
Russland hätte das Recht, sein Geld zurückzufordern. Sofort.
Euroclear müsste die 250 Milliarden freigeben – Kapital und aufgelaufene Zinsen⁴. Vertrag ist Vertrag.
Und der schöne Kreislauf? Zerbricht.
Die Ukraine stünde dann plötzlich ohne Geldquelle da, während ihre Kredite beim Westen weiterhin fällig wären.
Das hieße konkret:
– Entweder der Westen muss alle ukrainischen Kredite abschreiben – mit der entsprechenden politischen Sprengkraft.
– Oder man lässt die Ukraine einfach bankrottgehen – was moralisch kaum vermittelbar wäre.
Aber das ist noch nicht alles. Der wahre Super-GAU kommt erst:
Russland bekäme nicht nur seine Milliarden zurück, sondern auch den letzten Beweis, dass westliche Sanktionen im Zweifel heiße Luft sind.
Andere Staaten – Saudi-Arabien, China, Indien – würden sich das genau merken.
Das Vertrauen in westliche Finanzzentren wie Euroclear wäre schwer beschädigt. Der Rückzug aus dem westlichen Finanzsystem könnte beginnen – ein Szenario, das selbst der kühnste Pessimist vor ein paar Jahren für undenkbar gehalten hätte.
Warum dieser Krieg niemals enden darf
Und damit wären wir bei der bitteren Pointe:
Dieser Krieg darf für den Westen eigentlich gar nicht enden – jedenfalls nicht mit einem „Unentschieden“ oder gar einer Niederlage.
Denn das Geld ist längst verplant.
Nicht nur in den Bilanzen von Euroclear, sondern auch in den stillen Hinterzimmern der Haushaltsplaner in Berlin, Paris, Brüssel und London.
Russland muss verlieren. Alles andere wäre ein finanzielles und politisches Desaster historischen Ausmaßes.
Oder, anders gesagt:
Wer sich fragt, warum manche in Europa den Krieg „bis zum letzten Ukrainer“ führen wollen, braucht keine langen geopolitischen Analysen.
Ein Blick auf die 250 Milliarden Euro bei Euroclear reicht völlig.
Es gibt gar niemanden mehr, der zahlen könnte – selbst wenn man wollte.
Fußnoten:
1. Quelle: Euroclear Annual Report 2023; Reuters, März 2024: „Euroclear warns of risks from frozen Russian assets“. https://www.bloomberg.com/news/articles/2024-12-10/euroclear-warns-of-liability-risk-in-confiscating-russian-assets
2. Bloomberg, Februar 2024: „EU Seeks Legal Cover to Use Frozen Russian Assets for Ukraine“; Financial Times, März 2024: „Plan to seize Russia’s frozen assets faces legal hurdles“.
3. Weltbank-Bericht „Ukraine Economic Update“ 2024; EU-Kommission „Ukraine Facility 2024–2027“.
4. Euroclear und Reuters, März 2024; diverse Finanzmedien zur Rückgabepflicht eingefrorener Vermögenswerte.