Die Mittelschicht

Ich war kürzlich in Wien. Mittelschichtshölle pur. Man merkt das Kriechertum und ein paar, die die Peitsche schwingen können und dann eben diejenigen, die sich davon abgesondert haben. Und ja: “Ich war dabei!”. 

Ich erinnere mich mit Grausen an die Zeit, als ich jeweils 40 Minuten in die Arbeit gebraucht habe, um dann in einem Bürogebäude mit schlechtem Teppichgeruch und eingeschränktem Putzplan eine Position als “Director of”, “Managing Blah” und ähnliches zu mimen. Privilegien waren dabei dann das Einzelbüro um den Mief der anderen nicht zu riechen oder eine grössere Pflanze. Hin musste ich doch so vier Tage die Woche – und das trotz aller Homeoffice und sonstigen Regelungen. Sozialer Zang. Dann diese Begrüsserei – “Hoi Beat”, “Hallo Karl”, “ja wie gaht’s” … (I GIVE A SHIT). Egal ob Zürich, oder Böblingen, München, Mainz, Paris, London (ganz schlimm), Armonk (eher entspannt, die haben eh nix getan) und wo ich sonst so gearbeitet habe, immer das Gleiche. Ein Klischee, fast so wie wenn man Interrail macht. Man sieht immer Traveller die pleite sind.


Und pleite sind sie eh alle. Die meisten leben von der Hand in den Mund weil sie von ihren Frauen ausgezogen und klein gehalten werden. Und wenn sie aufgemuckt hätten, dann hätts keinen Sozialfick am ersten Wochenende im Monat gegeben.

Spannend waren dann auch die Mittagstischgespräche von “Urlaub” (ethymologisch “Die UR-ERLAUBNIS frei zu sein”), Autos (die sie fast alle auf Leasing gemietet haben), ihren Blagen (alles kleine Einsteins, kaum einer hat zugegeben, dass der Sohnemann am liebsten einen splifft und nix tut)… 

Dass alle gleichzeitig dann wieder nach Hause in ihre Hypothekenbunker in der Vorstadt gefahren sind, die ihnen wie Klötze am Bein hängen, das versteht sich von selbst. 

Spannend auch die “Vorgesetzten”, und ja, einige lesen mit. Peinlich die meisten, Umsatz und Gewinn verwechselnd der eine, Allüren aus Blödheit der andere habend, Allmachtsphantasien oder schlichtwegs Überforderung, gepaart mit “Denn sie wissen nicht was sie tun”. Gefangen in einem System, wo sie meinten Schäferhunde zu sein und doch nur Schafe waren. Und das meinten sie auch von mir. Juniorschäferhund oder so. Conference Calls am Sonntagmorgen? Kein Problem, das war eine der Lieblingssadistenmethden eines meiner Deutschlandchefs, dass er während der Arbeit seine Keule gepimpert hat, nannte sich dann Worklife Balance. 

Ganz selten ging es um die gemeinsame Sache, d.h. Business ranzukarren, viel öfters waren Selbstprofilierung und sich gegenseitig Trietzen an der Tagesordnung. Nur dann wenn der Kunde gemurrt hat, dann haben sich alle brav davor verneigt. Als Verriebsdirektor war das dann der Moment, den Laden hinter den imaginären Freundfeindgeldgeber zu spannen. Ohne das? Fehlanzeige. Daher sind die Bereiche, die weit von Kunden entfernt sind, umso anfälliger für Intrigantentum und Idiotie. 

PS: Ich bin sehr froh, wie ich mein Leben eingerichtet habe und dankbar. Ich könnte mir das nicht mehr vorstellen, trotz aller Mühen..