Die guten Jahre – als ein Büro noch nach Welt roch

Die guten Jahre – als ein Büro noch nach Welt roch

  1. Dezember 2025
    Christoph von Gamm

Es gab eine Zeit, da war ein Büro nicht einfach ein Arbeitsplatz, sondern ein eigener Kosmos. Ein Einzelbüro bedeutete nicht Luxus, sondern Respekt. Und natürlich Status. Man war so wichtig daß die Firma einen in Ruhe arbeiten ließ. Man schloss die Tür – und betrat eine kleine Republik des Geistes, in der Konzentration und Würde noch selbstverständlich waren.

Die besten Jahre bei mir, der diese Ära erlebt hat, lagen zwischen 1999 und 2006. Damals war ein Büro kein Hotdesk und kein „Space“, sondern ein Territorium mit Teppich, Holz und Charakter. Das Siemens-Telefon fiepte zuverlässig, und ein IBM-ThinkPad klappte mit dem beruhigenden Geräusch einer Maschine zu, die wusste, was sie konnte – und was sie in Ruhe lassen sollte.

Sekretärinnen waren damals keine administrativen Nebenfiguren, sondern professionelle Schutzengel. Katja, Tanja, Christina – sie wussten, welche Termine wichtig waren und welche nur Lärm bedeuteten. Sie filterten die Welt, bevor sie hereinschwappte. Sie kannten die Zeiten, in denen man erreichbar war, und die Stunden, in denen man arbeiten oder schlicht nachdenken wollte. Ein Beruf mit Stil, mit Loyalität und mit Haltung. Selbstverständlich wurde das oben erwähnte Siemens Hicom Telefon mit LCD Display, Assistenzfunktion und Extra Keypad sauber von den Damen beschriftet. Mit der Kugelkopf Schreibmaschine versteht sich. Und händisch programmiert. Oben rechts der Chef, dann der Controller, dann die eigenen Mitarbeiter.
Die Ladies hatten gerne ein Kostüm an. Und tiefen Ausschnitt. Perfekt gestylt, aber nicht zu sehr. Auch die Juniors hatten diese engen Anzughosen an, wo man sie beim Arschwackeln ignorieren mußte. Doch sie haben alles probiert. Für die Karriere.

Und dann war da der Geruch.
Heute unvorstellbar, damals völlig normal: ein Raum, der nach Holz, Papier, warmen Geräten, ein wenig Tabak und – wenn der Vorgänger Geschmack hatte – nach einem Hauch Single Malt roch. Sideboards aus den 70ern, Echtholz, Egon Eiermann Design, passend zur Architektur der Hauptverwaltung. Schwere Schlüsselschlösser. Möbel, die funktional waren und zusätzlich echter Ausdruck einer Epoche, in der Arbeit noch eine physische Präsenz hatte. Mein Sideboard hatte drei Holztüren, die linke hatte noch die Ringe der Karaffen für den Whisky eingebrannt. Ich stellte dort keine Akten rein, ich hatte eh wenige. Sondern machte die Tür manchmal auf, damit ich den Geruch schnuppern konnte.
Auf dem Konferenztisch, einem kleinen runden, immerhin, hatte ich ein paar Prospekte und weißes Papier. Ansonsten nix. Die Wände waren weiß, ein paar Bilder, die einem gestellt wurden und aktuelle Werbeposter. IBM halt. Und alles sauber. Clean Desk. Clean Mind. Tat gut. Der Blick huschte über den Parkplatz in den Wald von Böblingen, dann München, später Bern-Gümligen. Mit Blick auf die 4000er, Eiger, Mönch und Jungfrau.

Eine Zeitlang hatte ich eine Lavalampe. Sie leuchtete über den Parkplatz in Blau- Orange. Das galt als extravagant und die Lampe mußte selbstverständlich vom IBM TÜV abgenommen werden.
Aber was man halt so mit Ende 20 so tut.
Diese Büros waren nicht perfekt. Aber sie waren menschlich. Sie erlaubten Stille, Konzentration, Autonomie. Die digitale Dauererreichbarkeit existierte nicht. Es gab Pausen, in denen nichts passierte – und genau daraus entstand Qualität.

Heute ist vieles effizienter, vernetzter, hygienischer. Und dennoch: Die Arbeitswelt fühlt sich toxischer an. Vielleicht, weil die Technik leiser wurde, aber die Gschaftelei dafür lauter. Vielleicht, weil alle Türen offen stehen, aber echte Ruhe verschwunden ist. Vielleicht, weil jeder alles selbst organisieren muss – und niemand mehr schützt.

Manchmal reicht eine Erinnerung an diese Zeit, um zu verstehen, was verloren ging:
Nicht die Möbel, nicht der Rauch, nicht die Whisky-Ringe im Sideboard.
Sondern die Selbstverständlichkeit, im Beruf als Mensch zu existieren – und nicht als Prozess.

 

 

christophvongamm

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Dr. Christoph von Gamm ist ein Unternehmer, Investor und Business Angel, der sich an der Schnittstelle von Wirtschaft, Kultur und Technologie engagiert. Er ist CEO und Managing Partner von Cybertrue Capital Partners, einer Firma, die sich mit Investitionen und Deals beschäftigt. Zudem ist er CEO von vonGammCom Global, wo er Beratungs- und Executive-Search-Dienstleistungen im Bereich IT-Outsourcing, große Verträge, Vertriebsführung und umfassende Transformationen anbietet. Seine berufliche Laufbahn umfasst über 20 Jahre globale und pan-europäische Erfahrung, darunter Führungspositionen bei Capgemini Suisse S.A. (2008–2012) und IBM Corporation (1995–2008). Er hat sich als strategisch denkender Führungskraft mit Erfolg bei der Performanceverbesserung großer Organisationen, der Gründung neuer Funktionen und der Pionierarbeit bei globalen Outsourcing-Initiativen etabliert. Sein Schwerpunkt liegt auf der Wertsteigerung durch digitale Transformation und der Nutzung dieser Veränderungen für seine Kunden. Er verfügt über akademische Qualifikationen, darunter einen Doktortitel (Dr. phil.) in interkultureller Wirtschaftswissenschaft von der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), einen Diplom-Ingenieur (Dipl.-Ing.) in Elektrotechnik und Informationstechnik von der TU München sowie ein MBA von der Open University Business School, einen Master of Sales Management von der Portsmouth University, sowie Absolvent des Client Executive Programs der INSEAD Fontainebleau.
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