Afghanistan : Blut für Öl am Hindukusch

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Am Hindukusch entscheidet sich das wirtschaftliche Wohlergehen der westlichen Welt.

Ein politischer Kurzessay von Dr. Christoph v. Gamm und Prof. Dr. Florian G. Mildenberger

Solange Afghanistan instabil ist, bleibt Europa stabil.

Es sind diese Vorgänge, die zumeist erst eine Generation nach den stattgefundenen Ereignissen den Historikern und Kommentatoren ins Auge stechen und die immer gleiche Frage provozieren: „Wie konnte man solche Offensichtlichkeiten nur übersehen?“ Insgeheim wissen die Fragenden die Antwort schon, ebenso wie sie selbst sich gewiss sind, niemals diese Fragen aufgerollt zu haben, aus Rücksicht auf übergeordnete Interessen die doch sehr die eigenen sein können.

 

Im Fall des Krieges in Afghanistan, der nun mit Unterbrechungen seit 1980 dauert, wäre das die im Geographieunterricht stets gepredigte Frage: „Wo liegt das Land und welches sind seine Nachbarn?“ Afghanistan liegt zwischen dem Iran und der VR China. Beides sind Staaten, die seitens der USA und ihrer westlichen Verbündeten nicht nur wegen Menschenrechtsfragen kritisiert werden sondern vor allem aufgrund ihrer Machtentfaltungsstrategien. Beide Staaten eint zudem wechselseitiges Interesse: Die VR China benötigt Öl, mehr als mittlerweile die USA, und Iran muss möglichst viel davon verkaufen.

Die Verteidigung der westlichen Demokratie am Hindukusch ist – leider keine leere Floskel. Denn „fällt“ Afghanistan, dann wird über kurz oder lang auch der Dollar zusammenfallen, der über das Öl hochgehalten wird. Und fällt der Dollar, fällt der Euro zusammen.

Die deutsche Bundeswehr ist mit ihren Truppen in Massar-el-Sharif stationiert, an einem wichtigen strategischen Ort, nahe Taschikistan und auch nicht unweit des Wakhan Corridor, eine alte Handelsroute, die wahrscheinlich bereits von Marco Polo verwendet wurde.

40% des weltweiten Ölhandels gehen durch die Straße von Hormoz, eine lediglich 39 km breite Meerenge, die entsprechend von den USA sehr stark gesichert sind. Die Überwachung dieser Strasse durch die USA sorgt auch dafür, dass der US-Dollar für das Öl akzeptiert wird bzw. werden muss.

1973 nach dem Fall des Goldstandards und dem Quasi-Default gegenüber Gold wurde der Ölstandard vom damaligen US-Präsidenten Richard Nixon ausgerufen. Faktisch konnte Erdöl nur noch in US-Dollar bezahlt werden, und jeder etwas anderes probiert hat, wurde sanktioniert – so unter anderem auch Saddam Hussein, der sein Öl in Euro bezahlt wissen wollte. Dies kann als das letzte Glied einer langen Kette von Provokationen interpretiert werden, die ihm letztlich zum Verhängnis wurde.

Selbstverständlich muss auch China sein Öl in Dollar abrechnen, dafür braucht es ein großen Teil der Dollars, die aus Exporterlösen stammen. Ohne Exporterlöse keine Dollars, ohne Dollars kein Öl, ohne Öl kein chinesischer Aufschwung, denn trotz Eigenproduktion muss China importieren, eineinhalb Milliarden Chinesen wollen Auto fahren, im Winter nicht mehr frieren wie in den Jahrzehnten vor Deng Xiaoping und weitere ölbasierte Annehmlichkeiten des Kapitalismus genießen – und sei es nur Plastikspielzeug.

Und auch China muss sein Öl von Arabien über die Strasse von Hormoz transportieren. Der Weg des Öls nach China geht einen recht lästig-verschlungenen Weg: Mit Tankschiffen über die Strasse von Hormoz, vorbei an den Malediven, durch die piratenverseuchte Malaccastrasse durch, vorbei an Singapur und dann an Vietnam entlang zu einem der chinesischen Ölhäfen. China hängt also an mehr als zweier „Choke Points“, um an sein Öl zu kommen. China hat schon länger versucht, Auswege zu schaffen und die Route zu verkürzen. So bot China dem nicht allzu reichen Thailand an, einen Kanal durch den Isthmus von Kra zu bauen um damit wenigstens die Malaccastrasse zu umschiffen. Aber was bleibt ist die Strasse von Hormoz, sie zu umgehen ist quasi aussichtslos.

Eine gute Alternative wäre der Landweg, z.B. über eine Pipeline. Voraussetzung für eine Pipeline sind vor allem: Gute erschlossene Landwege – wer will sich schon mühevoll durchs durch das Gebirge sprengen und natürlich politische Stabilität, denn eine Pipeline ist ansonsten Angriffen sehr schonungslos ausgesetzt. Eine passende Route vom Iran – einem der ölreichsten Staaten – und mit möglichem Anschluss an Pipelines in Kuwait, Saudi-Arabien & Co könnte direkt durch Afghanistan führen. Alternativen für eine Pipeline wären Pakistan und durch den Nordhimalaya, sowie die Nordroute über Turkmenistan, Usbekistan und Kirgistan. Die Pakistan-Route für eine Ölpipeline ist aufgrund des Himalayas nicht praktikabel, zudem ist Pakistan politisch gesehen fast eine US-Marionette wie in den 1960er Jahren es mittelamerikanische Bananendiktaturen waren. Die Nordroute, auch bekannt als die nördliche Seidenstrasse führt durch zu viele Staaten der ehemaligen UdSSR, die sich zum Teil inzwischen spinnefeind sind, damit ist auch dieser Weg faktisch verschlossen. Am interessantesten ist also die südliche Seidenstrasse.

Die Route von Teheran/Iran nach Shache/China, dem ersten Ort östlich des Himalaya und kurz vor der Wüste Gobi – ab da wird es dann geographisch und politisch für Pipelinebauer sehr einfach – führt durch Afghanistan, ein früher erprobter Trucker-Weg führte z.B. über Kabul mit einer Distanz von 3187 km. Gute vier Tage Trucker-Fahrzeit sollte man dafür in Kauf nehmen. Öl kommt je nach Druck in sieben Tagen an, in jedem Fall deutlich schneller und auch – wenn mal gebaut – günstiger als über den Seeweg. Zudem ergeben sich Möglichkeiten strategischer Partnerschaften.

Der Iran hatte mit China schon immer recht gute Handelsbeziehungen gehabt, die sich durch die Krise seit 1979 mit dem Westen (iranische Revolution) verdichtet haben. Dazu trug auch die Isolationspolitik des Westens gegenüber dem islamistischen Regime bei. Die Pipeline-Pläne sind nicht eine Erfindung der jüngsten Jahre. Gelegentlich aber ereignen sich Revolutionen und Einmärsche in erstaunlicher Reihenfolge. So geschah das Ende 1979 durch die Sowjetunion, die sich anfänglich geweigert hatte, im Afghanistan einzumarschieren. Aber nach der iranischen Revolution wurde es auch für die Sowjets wichtig, hier einen Block gegen China zu errichten. Aus diesem Grund wurde hier auch zunächst recht wenig in den USA protestiert oder gar wirklich unternommen, wenn man mal von etwas politischem Geplänkel wie dem Sanktionieren der olympischen Spiele in Moskau 1980 absieht. Ganz im Gegenteil, die Iran-Afghanistan-Krise machte das Öl nochmals deutlich teurer und damit den US-Dollar wertvoller.

Schöne 10 Jahre hat dann auch die Sowjetunion es ausgehalten, in Afghanistan aktiv zu sein, der Ölstandard konnte sich dadurch weiter etablieren, Gold wurde gleichzeitig wieder weniger wichtig. Der kundige Leser mag einwenden, dass es die USA waren, die in Afghanistan die islamischen Glaubenskämpfer mit Waffen und Geld unterstützten – werbewirksam untermauert durch Hollywoodstreifen wie „Rambo III“ oder 2009 „Der Krieg des Charlie Wilson“. Wichtig war jedoch auch hier, Instabilität zu säen, denn es ging den USA auch hier nicht darum, gegen die Sowjetunion zu sein, sondern die Region massiv instabil zu halten. Denn ein – auch dank der Sowjets – funktionierendes Afghanistan hätten die USA genauso wenig gebraucht.

Nach zehn Jahren sozialistischer Bruderhilfe und dem Partisanenkrieg der Mujahidin war Afghanistan in die Steinzeit zurückgebombt, insofern für eine Pipeline kein sicherer Ort. Der Bürgerkrieg schleppte sich noch bis 1999 dahin, ehe die Taliban die zerstrittene Nordallianz so weit zurückdrängten, dass wieder von einem existierenden Staatswesen Afghanistan und nicht einem failed state im Sinne des heutigen Somalias gesprochen werden konnte. 2001 wäre die Nordallianz beinahe sogar aus ihrem letzten Restgebiet, dem geostrategisch wichtigen Nordostzipfel verdrängt worden, dort ist das für die Dollar-Hegemonie wohl wichtigste Areal der neuzeitlichen Geschichte, das Tal von Goritik in der Provinz Badakhshan. Hätte die Nordallianz dort auch noch einen Fehlschlag erlitten, wäre das „Islamische Emirat Afghanistan“ dann wohl von China und dem Iran deutlich umworbener gewesen, denn auch die Taliban brauchen Geld.

Dass es soweit nicht kam, hing direkt mit den Ereignissen nach 9/11 zusammen. Es muss an dieser Stelle betont werden, dass es außerhalb des Interesses des Autoren liegt, die obligaten wilden Verschwörungstheorien rund um einstürzende Hochhäuser und fanatisierte islamische Terroristen zu bedienen – auch wenn sie sich rein kriminologisch bisweilen sehr interessant lesen. Die Kooperation zwischen Taliban und Al Qaida erwies sich für erstere als nahezu tödlich. Im Bombenhagel der US Air Force zerstoben auch all jene Pläne Irans und Chinas, sich auf afghanischem Terrain geostrategisch und wirtschaftspolitisch zu begegnen. Dies wurde entscheidend durch eine Neuorientierung des amerikanischen Engagements in dieser Region der Welt verhindert. Während man bislang sich auf Subventionen oder Lieferung von Militärgütern beschränkt hatte, wurde nun direkt interveniert und so ein politischer und wirtschaftlicher Neuaufbau von Anfang an begleitet. Nur diejenigen Mächte, die sich an dieser Militäraktion beteiligen, dürfen zur Zeit auch von der geostrategischen Teilhabe profitieren.

Entsprechend konnte man nun die Demokratie am Hindukusch verteidigen, wenn folgende Schlussfolgerung erlaubt sein darf: Ist Afghanistan ein befriedetes Land, dann sind Infrastrukturprojekte möglich. Sind Infrastrukturprojekte möglich, dann auch eine Ölpipeline vom grössten ölproduzierenden Gebiet zum grössten ölverbrauchenden Gebiet. Wenn das möglich ist, ist die Frage, wer den US-Dollar dann noch braucht.

Es gibt also ein vitales Interesse, die Dinge so zu belassen wie sie jetzt sind. Es geht der westlichen Welt solange gut, solange Afghanistan ein Katastrophengebiet ist. Das bedeutet: In Afghanistan müssen die Taliban genauso unterstützt werden von den westlichen Staaten, um Unfrieden zu säen. Die Opiumproduktion macht in Afghanistan einen Großteil der Exporte aus, jedenfalls seit die Taliban nicht mehr regieren. Geliefert werden die Endprodukte wie Heroin, das inzwischen mehr als 30% des afghanischen Bruttoinlandsprodukts ausmacht vor allem nach Rußland, das aus zeitgeschichtlichen Gründen keinesfalls in Afghanistan intervenieren kann.

Parallel schadet eine Dämonisierung des Irans zumindest nicht. Dies geschieht über die Unterstellung des nuklearen Aufrüstens – wer wollte sich schon für den Mißbrauch der Atomkraft positionieren?

Auf jeden Fall aber erscheint eine Diskussion über einen baldigen Abzug aus Afghanistan sinnlos. Die Thematisierung der Beweggründe deutschen Engagements am Hindukusch kostete bereits einem deutschen Staatsoberhaupt sein Amt. Dies dürfte auch als Warnung an mögliche Kritiker gemeint gewesen sein, sich nicht weiter den Kopf zu zerbrechen.

Ein Abzug aus Afghanistan würde wohl China und den Iran dort auf den Plan bringen.

Beide Staaten haben ein deutliches Interesse an guten Handelsbeziehungen und würden wohl Kabul & Co zum Aufblühen bringen – natürlich mit einem Wertesystem, das mit westlichen Werten, Frauenbeteiligung, Gleichberechtigung und so weiter wenig zu tun hat. Irgendwann ist eine Pipeline gebaut, die südlichen GUS-Staaten werden an diese Pipeline gleich mit angeschlossen und das Pipelineprojekt des Westens über die Türkei wäre gleich mit erledigt.

Das Öl geht einfach und schnell über die Pipeline, der Westen wird „trockengelegt“, genauso wie wenn man zu zweit mit einem grossen Cola-Becher bei McDonald’s ist – aber nur einer hat den Strohhalm, der andere bekommt einen Löffel für das Getränk.

Und nun gilt es nachzudenken: Hat China die Pipeline, braucht es keine Tanker mehr und muss nicht mehr mühsam das Öl durch die Choke Points fahren. Dann kann China auch direkt in chinesischer Währung bezahlen, Dollars werden dadurch weniger gebraucht. Und die ölexportierenden Staaten kaufen Güter wie bisher auch aus China. Exporte von China in den Dollarraum für Dollars werden nicht weiter benötigt, da der Hauptexportgrund – Dollars für Öl – nicht mehr notwendig ist.

Sobald dies der Fall ist, ergibt sich für den Westen eine vorher nicht dagewesene Verschiebung der Wirtschaftskräfte. Der Chinesische Renmimbi wird dadurch wohl die neue Weltleitwährung – eine an sich überfällige Sache, denn schliesslich sind die meisten Einwohner der Welt Chinesen, sie exportieren am meisten und sind wirtschaftlich stark. Und mit einer Pipeline von China in den Iran und nach Arabien haben sie auch genug Öl.

Fragt sich dann nur noch, was die USA und Europa mit einem überteuerten Alterssicherungssystem, einem Paradies für Sozialhilfebezüger und wenig tangiblen Exporten – von Deutschland mal abgesehen – wohl dann auf dem Weltparkett zu suchen haben. Der Schweiz blüht durch eine dermassen starke tektonische Verschiebung der Währungssysteme auch Ungemach. Besser ist dann fast, den Freunden im grossen Kanton unter die Arme zu greifen, als darauf zu warten, dass sie aufgrund übergrossen Drucks das Handtuch werfen.

Entsprechend sind Truppen in Afghanistan ein kleiner Preis für ein hohes wirtschaftliches Gut, doch die Frage ist: Wie lange hält so etwas wirklich?

Dr. Christoph O.-Ph. Frhr. v. Gamm ist Geschäftsmann. Er lebt in München.

Prof. Dr. Florian G. Mildenberger ist Privatgelehrter. Er lebt in Berlin.