Die wandernden Dynastien – Vom römischen Senat zur City of London und ins Metaverse

Die wandernden Dynastien – Vom römischen Senat zur City of London und ins Metaverse

26. Oktober 2025
Die großen Familien Roms wußten früh, wann es Zeit war zu gehen. Als das Imperium bröckelte, zog es sie nach Konstantinopel, später nach Venedig, wo Macht nicht mehr in Legionen, sondern in Handelsflotten gemessen wurde. Hier traten neue Namen auf: Cornaro, Mocenigo, Foscari, Contarini, Grimani – venezianische Dogenhäuser, deren Blutlinien sich teils bis in die römische Senatorenschicht zurückverfolgen lassen. Diese Familien verstanden, daß Reichtum nicht in Land, sondern in Bewegung liegt: in Schiffen, Krediten, Informationen.
Als Venedig verblasste, wanderte die Elite weiter – nach Basel, dem Knotenpunkt humanistischer Gelehrsamkeit und frühmoderner Finanzkunst. Von dort nach Amsterdam, wo Patrizier wie die Bicker, De Graeff und van der Velde mit der Vereenigde Oostindische Compagnie (VOC) die erste globale Kapitalmaschine gründeten.
Dann kam London, wo sich nach 1694 mit der Bank of England das moderne Finanzimperium formierte. Familien wie Rothschild, Barings, Goldsmid, Sassoon und Hambros übernahmen die Rolle der alten Patrizier – als unsichtbare Architekten von Kriegen, Währungen und Weltordnungen.
Zwischen all diesen Bewegungen gibt es eine deutsche Konstante: das Haus Thurn und Taxis. Ursprünglich aus dem lombardischen Adel stammend (de Tasso – und woher früher, das wissen sie selbst ziemlich genau), bauten sie im 16. Jahrhundert das europäische Post- und Kommunikationsnetz auf – das Internet ihrer Zeit.
Sie kontrollierten Informationen, bevor es Geheimdienste gab, und verbanden Fürstenhöfe, Banken und Handelshäuser. Später verlagerten sie ihr Vermögen geschickt in Grundbesitz, Industrie und Finanzbeteiligungen. Aus Postreitern wurden Postkutschen-Kapitalisten – und schließlich diskrete Anteilseigner der Moderne.
Der Name blieb, die Geschäftsmodelle änderten sich. Von Rom über Venedig und Amsterdam bis Regensburg und London zieht sich dieselbe Linie: Anpassung durch Antizipation. Dieselben Mechanismen, dieselbe Logik – Macht durch Netzwerke, Reichtum durch Information. Selbst Gentests beginnen, diese genealogische Kontinuität zu bestätigen: die alten römischen und venezianischen Linien leben in den Nachfahren jener Familien fort, die heute über Stiftungen, Holdings und Family Offices wirken – von Genf über Liechtenstein bis London. Aber bitteschön diskret, unauffällig – ohne viel Aufhebens. Denn Kapital mag kein Fingerpointing.
Was früher Senat und Patriziat hieß, nennt sich heute Family Office, Private Equity Fund oder ESG-Stiftung. Das Vokabular hat sich geändert, das Prinzip nicht: Kontrolle durch Struktur, Einfluss durch Nähe, Überleben durch Wandel. Rom ist gefallen, Venedig verlandet, London ermüdet – und New York verliert an Glanz.
Die Frage ist also: Wohin geht es als Nächstes? Nach Singapur, wo angelsächsisches Recht auf asiatische Disziplin trifft? Nach Dubai, wo Geld und Macht wieder schamlos sichtbar sind? Oder in die digitale Sphäre – ein Imperium ohne Territorium, aber mit denselben Familien im Hintergrund, nur mit anderen Adressen?
Vielleicht heiraten sie längst schon in Singapur ein – oder gleich ins Metaverse, wo Besitz nicht mehr in Hektar, sondern in Datenzentren gemessen wird. Denn die Geschichte dieser Dynastien ist keine Abfolge von Orten, sondern eine Bewegung der Macht im Schatten: immer einen Schritt voraus, immer dort, wo das nächste Reich gerade entsteht.
Vielleicht sind die kommenden Dynastien längst schon aus Fleisch und Blut verschwunden – gespeichert in Serverfarmen, vererbt als Algorithmen mit Stammbaum, anonymisiert zwischen tausend Kryptowaschmaschinen.
 

christophvongamm

View posts by christophvongamm
Dr. Christoph von Gamm ist ein Unternehmer, Investor und Business Angel, der sich an der Schnittstelle von Wirtschaft, Kultur und Technologie engagiert. Er ist CEO und Managing Partner von Cybertrue Capital Partners, einer Firma, die sich mit Investitionen und Deals beschäftigt. Zudem ist er CEO von vonGammCom Global, wo er Beratungs- und Executive-Search-Dienstleistungen im Bereich IT-Outsourcing, große Verträge, Vertriebsführung und umfassende Transformationen anbietet. Seine berufliche Laufbahn umfasst über 20 Jahre globale und pan-europäische Erfahrung, darunter Führungspositionen bei Capgemini Suisse S.A. (2008–2012) und IBM Corporation (1995–2008). Er hat sich als strategisch denkender Führungskraft mit Erfolg bei der Performanceverbesserung großer Organisationen, der Gründung neuer Funktionen und der Pionierarbeit bei globalen Outsourcing-Initiativen etabliert. Sein Schwerpunkt liegt auf der Wertsteigerung durch digitale Transformation und der Nutzung dieser Veränderungen für seine Kunden. Er verfügt über akademische Qualifikationen, darunter einen Doktortitel (Dr. phil.) in interkultureller Wirtschaftswissenschaft von der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), einen Diplom-Ingenieur (Dipl.-Ing.) in Elektrotechnik und Informationstechnik von der TU München sowie ein MBA von der Open University Business School, einen Master of Sales Management von der Portsmouth University, sowie Absolvent des Client Executive Programs der INSEAD Fontainebleau.
Scroll to top