Der Staat braucht keine Delegitimierer
Christoph von Gamm, 2. Dezember 2025
Der Staat braucht keine Delegitimierer – er hat Staatsanwaltschaften.
Es heißt immer, Demokratie werde von ihren Feinden bedroht.
Die Realität ist viel einfacher: Der Staat erledigt das Delegitimieren längst selbst – günstig, effizient und mit Dienstsiegel.
Man nehme einen Fall wie jenen aus dem Dezember 2022:
Ein Spektakel an Pressekonferenzen, martialische Fotos, durchgestochene Hausdurchsuchungen mit Medienpräsenz, dramatische Begriffe wie „Terrorzelle“ und „Umsturz“.
Dann sperrt man den Hauptangeklagten weg, behandelt ihn drei Jahre wie einen Hochsicherheitsbomber – und stellt im Prozess fest, dass von der apokalyptischen Bedrohung ungefähr so viel übrig ist wie von einer Schneekönigin im Hochsommer.
Die Richter müssen nun belanglose Chats und irrelevante Mitschnitte verlesen, während die Staatsanwaltschaft versucht, aus digitalem Kleinkram und missglückten Alltagsfantasien eine Staatsaffäre zu stricken.
Das Ergebnis wirkt wie eine Mischung aus unfreiwilliger Komik und behördlicher Selbstparodie.
Und genau hier passiert das Entscheidende:
Der Staat braucht keine Delegitimierer.
Er hat Staatsanwaltschaften, die das in einer Qualität und Konsequenz übernehmen, von der jeder Telegram-Influencer nur träumen könnte.
Man kann das niemandem übelnehmen – außer dem Staat selbst.
Denn wenn ein Prozess, der als „größter Anti-Terror-Erfolg seit Jahrzehnten“ verkauft wurde, am Ende aussieht wie eine schlecht geprobte Theaterinszenierung,
dann verliert niemand das Vertrauen in die Demokratie, weil irgendwelche Reichsbürger skurrile Phantasien haben.
Nein – das Vertrauen geht verloren, weil behördliche Realität und politische Erzählung miteinander kollidieren, und zwar so heftig, dass jeder Zuschauer das Krachen hört.
Was immer die Angeklagten sich gedacht oder gewünscht haben mögen –
das eigentliche Problem ist ein Staat, der mit voller Wucht losstürmt und dann vor Gericht erklären muss, warum der Berg, den er beschworen hat, nur eine Maus war.
Ein System, das so handelt, muss sich über Delegitimierung keine Sorgen machen.
Es delegitimiert sich selbst, jeden Tag ein bisschen mehr – durch eigene Übertreibungen, eigene Inszenierungen, eigene Ermittlungen, die unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen.
Der Staat wollte zeigen, wie gefährlich seine Gegner sind.
Am Ende zeigt er nur, wie gefährlich seine Fehler sind.
Doch das eigentlich Böse daran ist etwas anderes:
Während der Staat seine eigene Erzählung rettet, werden im Hintergrund echte Menschenleben zerstört.
Nicht als tragischer Unfall.
Nicht als „schwieriger Einzelfall“.
Sondern als vorhersehbare Folge eines bürokratischen Apparats, der seinen eigenen Mythos wichtiger nimmt als das Leben eines Einzelnen.
Es sind Existenzen, die nicht mehr aufgebaut werden können.
Reputation, die nicht zurückkommt.
Gesundheit, die nicht regeneriert.
Jahre, die niemand ersetzt.
Das bleibt liegen wie der Schutt nach einer missglückten Sprengung.
Nur dass hier nicht ein Gebäude, sondern ein Mensch getroffen wurde.
Und genau hier zeigt sich, woran sich ein Rechtsstaat wirklich messen lassen muss:
Nicht daran, wie laut er Gefahren beschwört,
sondern daran, wie er mit den Menschen umgeht, die er in seine Mühlen zieht.
Wenn staatliches Handeln Leben ruiniert, ohne dass die behauptete Bedrohung je belegt wurde,
dann reicht kein Achselzucken.
Dann reicht kein „Wir haben nach bestem Wissen gehandelt“.
Ein Rechtsstaat, der tief in die Lebenswirklichkeit eines Bürgers eingreift,
hat die Pflicht, Verantwortung zu übernehmen – vollständig, unmissverständlich.
Und ja:
Wenn der Staat selbst Grenzen überschreitet, die er jedem Einzelnen verbietet,
dann muss die Konsequenz ebenso klar sein wie bei jedem anderen Rechtsbruch:
Es braucht die höchste Form demokratischer Rechenschaft.
Nicht für Gedanken.
Nicht für Ideologien.
Sondern für staatliche Übergriffe, die Menschenleben ruinieren.
Denn ein Staat, der Menschen zerstört und anschließend zur Tagesordnung übergeht,
hat nicht nur seine Gegner delegitimiert –
sondern sich selbst.
